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Presseschau: Einstürzende Altertümer

Italiens gebautes Erbe ist zum Spielball der Regierung Berlusconi geworden

Kein Land besitzt ein bedeutenderes Bauerbe als Italien. Es zu pflegen, ist aufwendig. Deshalb stellen Mitglieder der Regierung Berlusconi den Wert des Patrimoniums in Frage. Nun aber ist die Bevölkerung durch einstürzende Altbauten in Rom und Pompeji aufgeschreckt worden.

Samuel Vitali

Als am 6. November in Pompeji das Haus der Gladiatoren unter dem Druck eines vom Regen aufgeschwemmten Erdhügels zusammenbrach, war die Bestürzung gross. Wie im letzten März, als in Rom ein Gewölbe von Neros Domus Aurea einstürzte, gingen die Bilder des Trümmerhaufens um die Welt. Staatspräsident Giorgio Napolitano sprach in ungewohnt deutlichen Worten von einer «Schande für Italien». Die Opposition lancierte einen Misstrauensantrag gegen den zuständigen Kulturminister Sandro Bondi, über den am 29. November das Abgeordnetenhaus abstimmen wird. Nicht nur Oppositionspolitiker, sondern auch viele Kommentatoren sehen im Einsturz eine Metapher für den politischen, wirtschaftlichen und moralischen Zerfall des Landes unter der Regierung Berlusconi.

Ein Sechstel des Weltkulturerbes

Italien gilt als das Land mit der höchsten Dichte an Baudenkmälern der Welt: Gemäss einer in italienischen Medien gerne zitierten Schätzung soll sich rund ein Sechstel des Weltkulturerbes auf dem Boden des Belpaese befinden. Und die Italiener sind stolz auf ihre kulturelle Vergangenheit. Kunstgeschichte ist in Italiens Gymnasien Pflichtfach; grosse Ausstellungen sind Ereignisse, für die ein zahlreiches Publikum oft weite Anreisen und stundenlanges Schlangestehen in Kauf nimmt. Nicht zuletzt sind die Kunstschätze und Bauwerke Italiens ein entscheidender Standortfaktor für den Tourismus, der rund 12 Prozent des nationalen Bruttosozialproduktes ausmacht.

Gemessen an der Bedeutung dieses Kulturerbes ist der Etat des Kulturministeriums geradezu lachhaft niedrig: Es erhält nicht einmal 0,18 Prozent des Staatshaushalts (zum Vergleich: In Frankreich ist es rund 1 Prozent). Die stiefmütterliche Behandlung der Kultur durch die italienische Politik wird von den Kulturschaffenden seit Jahrzehnten beklagt. Unter der gegenwärtigen Mitte-Rechts-Regierung hat sich die Situation aber noch einmal verschärft. 2008 wurde das Jahresbudget von Bondis Ministerium von rund 2 Milliarden Euro auf 1,7 Milliarden gekürzt, 2011 wird es gar auf 1,4 Milliarden sinken. Zwar mussten die meisten Ministerien herbe Kürzungen hinnehmen, doch ist es offenkundig, dass die Kultur auf der Prioritätenliste von Berlusconis Koalition ganz unten rangiert. Der mächtige Finanzminister Giulio Tremonti gab vor kurzem spöttisch zu verstehen, dass man Kultur schliesslich nicht essen könne. Mit der Lega Nord ist zudem eine Partei in der Regierung tonangebend, deren führende Vertreter mit ihrer Unkultiviertheit geradezu kokettieren. So empörte sich der Gouverneur des Veneto, Luca Zaia, darüber, wie man angesichts der Hochwasserkatastrophe in seiner Region erwägen könne, 250 Millionen für «die paar Steine» in Pompeji auszugeben.

Es überrascht daher nicht, dass den Soprintendenzen, die für die Erhaltung der Kunstdenkmäler verantwortlich sind, das Geld an allen Ecken und Enden fehlt. Tatsächlich sind die Einstürze der Domus Aurea und des Hauses der Gladiatoren nur die Spitze des Eisbergs. In Rom brachen im Mai Stücke aus dem Verputz des Kolosseums aus; die spätantike Aurelianische Stadtmauer sowie die Ruinen des Kaiserpalastes auf dem Palatin sind vom Einsturz bedroht. Und natürlich sieht es abseits der Hauptstadt nicht besser aus: Dieser Tage warnte die archäologische Denkmalpflege der Toskana, dass die Zyklopenmauern von Roselle, die zu den wenigen vollständig erhaltenen etruskischen Stadtmauern gehören, vom Zerfall bedroht sind. Die Verwahrlosung ist keineswegs auf antike Monumente beschränkt: 1989 sackte der mittelalterliche Glockenturm der Kathedrale von Pavia in sich zusammen und riss vier Menschen in den Tod, 1996 stürzten die Gewölbe der barocken Kathedrale von Noto ein - der mediale Aufschrei war jeweils gross, das Grundproblem wurde jedoch nicht angegangen. Lieber gibt der Staat Millionen für teure Notmassnahmen aus, als in die Prävention zu investieren. Einzig der Mailänder Dom und der Petersdom in Rom verfügen über ein systematisches Monitoring, das drohende Schäden frühzeitig erkennen sollte.

Angesichts der wachsenden Kritik weist Minister Bondi jede persönliche Verantwortung von sich. Die finanziellen Ressourcen seien zwar knapp; das Problem liege aber darin, dass sie nicht effizient genutzt würden, da die Soprintendenten (in der Regel Kunsthistoriker oder Archäologen) keine Managerqualitäten besässen. Diesem Missstand will Bondi mit einer Reform abhelfen, die den Soprintendenten administrative Leiter zur Seite stellt; Letztere sollten sich um die Verwaltung (und Vermarktung) der Kulturgüter kümmern, während die Wissenschafter nur für den Denkmalschutz zuständig wären. In diese Richtung ging bereits 2008 die Schaffung der Direzione generale per la valorizzazione del patrimonio culturale (Generaldirektion für die Aufwertung des Kulturbesitzes) innerhalb des Ministeriums, die zum Entsetzen der Kunstwelt dem ehemaligen Chef von McDonald’s Italien anvertraut wurde. Dahinter steht letztlich die Vorstellung, dass Kulturgüter eine Ressource sind, die Profit abwerfen soll.

Die Schwäche von Bondis Argumentation besteht darin, dass gerade Pompeji in den letzten Jahren ein Laboratorium für eine solche Politik war: Bis zum vergangenen Juni wurde die Ausgrabungsstätte von ausserordentlichen Kommissaren verwaltet, die vom Minister ernannt worden waren. Diese investierten jedoch die Gelder, die dank über zwei Millionen Eintritten pro Jahr durchaus vorhanden sind, offenbar alles andere als zweckmässig und effizient: Eine Reportage der Wochenzeitschrift «L’Espresso» rechnet vor, dass von den 79 Millionen Euro, die die Kommissare in den letzten Jahren ausgegeben hatten, fast die Hälfte nicht in die Sicherung und Konservierung der Denkmäler, sondern in kosmetische und kommunikative Massnahmen flossen, so in Ausstellungen, Konzerte, Beleuchtung der Ruinen oder multimediale Projekte; alleine 80 000 Euro kosteten die Vorbereitungen für einen geplanten Besuch des Ministerpräsidenten Berlusconi im Herbst 2008, der schliesslich platzte. Hinzu kommt, dass zahlreiche Aufträge ohne Ausschreibung an «befreundete» Firmen des letzten Kommissars Marcello Fiori vergeben wurden. Gegen dessen Amtsführung ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft von Torre Annunziata.

Schlecht verwaltete Ruinenstätten

Man kann darüber streiten, ob die moderate Steigerung der Besucherzahlen in Pompeji in diesem Jahr tatsächlich medienwirksamen Spektakeln wie den Konzerten von Riccardo Muti im antiken Theater oder nicht vielmehr der Besserung der Wirtschaftslage zu verdanken sind. Doch darf bezweifelt werden, dass Bondis Vermarktungsstrategie das richtige Rezept ist für die physische Erhaltung von Pompeji und erst recht der weniger renommierten Kunststätten, für die sich weder Sponsoren noch die grossen Publikumsströme je interessieren werden. Indessen stehen die Chancen gut, dass nicht nur der Misstrauensantrag gegen Sandro Bondi, sondern auch seine Reformpläne bald Makulatur sein werden, da die Tage der Regierung Berlusconi gezählt scheinen. Derweil bröckeln die antiken Denkmäler in Pompeji und anderswo weiter vor sich hin, in der vagen Hoffnung auf bessere Zeiten.

Quelle : NZZ, 19. November 2010, S. 50 (Feuilleton)

2010-11-21, Lorenz E. Baumer

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