Inhalt

Presseschau: Im Aschenregen des Vulkans
Der Untergang Pompejis in einer Mannheimer Ausstel...
2005-01-11

Presseschau: Edelsteine, Gold und Glas: Der Glanz einer Epoche
Über tausend Jahre lang dominierte das Byzantinisc...
2005-01-02

Presseschau: Kunsträubern das Handwerk legen
Die Schweiz gilt immer noch als Drehscheibe für il...
2005-01-02

Presseschau: Sensation war Fälschung
Die israelische Justiz hat einen renommierten Anti...
2004-12-30

Petition internet contre la suppression de la chaire de grec ancien à l'Université de Neuchâtel
Le 16 décembre 2004, le Conseil de l'Université de...
2004-12-22

Presseschau - Die jahrzehntelange Diskussion um die Rollen von Qumran
Die jahrzehntelange Diskussion um die Rollen von Q...
2004-12-22

Siegesmonument des Sulla bei Orchomenos entdeckt
Athen (dpa) - Archäologen haben rund 70 Kilometer ...
2004-12-09

Endlich: Eine Art Nobelpreis für die Geisteswissenschaften
A. Kl. In der norwegischen Stadt Bergen wird am 3....
2004-12-03

Afghanische Kulturschätze wiederentdeckt
Archäologen finden verschollen geglaubte Artefakte...
2004-11-19

Vatikan-Museen zeigen bunte antike Skulpturen
ROM - Die antike Kunst war bunter, als viele Laien...
2004-11-17

 
Informieren Sie uns per e-mail

News

Presseschau - Die jahrzehntelange Diskussion um die Rollen von Qumran

Die jahrzehntelange Diskussion um die Rollen von Qumran
Wissenschaftlicher Blick auf die berühmten Dokumente aus der Zeit Jesu

Vor über einem halben Jahrhundert wurden beim Toten Meer Schriften entdeckt, die wichtige Texte über das frühe Judentum und aus der Zeit der Entstehung des Christentums enthalten. Rivalisierende Forscher haben die Publikation jedoch jahrelang verzögert. Nun sind alle Texte veröffentlicht, aber noch längst nicht alle Fragen geklärt.


Rund 800 Handschriften in über 15 000 Fragmenten aus 11 verschiedenen Höhlen: So sah 1957 - zehn Jahre nach Entdeckung der ersten Schriftrollen in Qumran - die Bilanz aus. Gefunden in Felshöhlen am Rand des Toten Meeres, im heute von den Israeli besetzten Westjordanland, erregten die Texte unter Religionshistorikern grosses Aufsehen, als sich herausstellte, dass es sich zum Teil um biblische Inhalte handelte. Es sollten jedoch weitere vierzig Jahre vergehen, bis alle Schriften in einer Übersetzung vorlagen und auf einer CD-ROM zugänglich waren. Es waren Jahre des Streits, des Streits über Besitzrechte, Urheberrechte, Herausgeberrechte und vieles mehr. Die Edition der Qumran-Texte entpuppte sich als überaus prestigeträchtiges Unterfangen, von dessen Ruhm und Ehre sich viele ein Stück abschneiden wollten. Unterschiedliche Meinungen über Methoden und Interpretationen entzweiten die Forscher; es folgten inoffizielle Übersetzungen, Plagiatsklagen, gerichtliche Zwischenspiele. Die Texte, eifersüchtig gehütete Geheimnisse der verschiedenen Bearbeiterteams, blieben einem grösseren Publikum verschlossen. Erst in den neunziger Jahren erfolgte ein Editionsschub, der letzte Text erschien 2002. Die Ansichten über Inhalt und Herkunft divergieren aber noch heute.

Die Schriftrollen
Nur etwa 50 Rollen sind aus Papyrus, einem aus dem Mark der gleichnamigen Pflanze gefertigten Material. Die Mehrzahl der Texte wurden auf Pergament, also auf Tierhaut, geschrieben. Die zurechtgeschnittenen Pergamentstücke waren entsprechend dem geplanten Textvolumen zusammengenäht worden; die längste erhaltene Rolle von Qumran misst fast neun Meter. Geschrieben wurde hauptsächlich in Hebräisch, weniger in Aramäisch, und zwar mit Rohrfeder und einer auf Kohle basierenden Tinte. Nur in einer einzigen Höhle kamen winzige griechisch beschriftete Fragmente zum Vorschein; ihr Text blieb jedoch unverständlich. Die Vielfalt der Schreibstile, Handschriften und Inhalte lässt auf einen grossen Kreis von Schreibern schliessen.

Die Datierung der Rollen basiert auf paläographischen Studien, das heisst auf der Untersuchung des Schriftbildes und seiner Entwicklung, das man mit anderen, datierten Schriftstücken vergleicht. Demnach wurden die Rollen in der Zeit zwischen 200 v. Chr. und 70 n. Chr. beschriftet. Datierungen des Pergaments mit der Kohlenstoff-14-Methode ergaben nur ungenaue Resultate, ohne aber den mit paläographischen Methoden erhaltenen Angaben zu widersprechen.

Gefunden worden waren die meisten Rollen von Beduinen; etliche kamen in den Antiquitätenhandel und mussten von den Institutionen, die sich an der Bearbeitung beteiligten, aufgekauft werden. Die genaue in den Höhlen angetroffene Situation ist deshalb nicht bekannt. Es scheint, dass einige Rollen in grossen Tonkrügen verstaut waren, andere hatte man sorgfältig in Leintücher eingeschlagen, wieder andere lagen am Höhlenboden verstreut und waren beschädigt. Das konstante, trockene und heisse Klima am Toten Meer hatte sie aber hervorragend konserviert.

Drei Arten von Texten
Die Qumran-Schriftrollen enthalten - gemäss der traditionellen Interpretation - drei Textarten: Etwa die Hälfte betrifft jüdische Literatur nichtbiblischen Inhalts, beispielsweise Loblieder, Gebete und Kalender. Ein Viertel enthält biblische Texte aus dem Alten Testament und ein letztes Viertel die sogenannten Sekten-Texte. Aus dem Neuen Testament wurden zwar keine Schriften gefunden, es sollen aber thematische und sprachliche Verbindungen bestehen, deren Interpretation auch für die Geschichte der Entstehung des Christentums von Bedeutung sind. Diese haben die Qumran-Forschung, an der anfangs keine Juden teilnahmen, jahrelang dominiert.

Für das Judentum enthalten die Rollen wichtiges Material. Vor deren Entdeckung hatte man angenommen, dass die Juden sich schon in der Frühzeit darüber einig waren, was «Judentum» bedeute, welche Schriften als «heilig» galten, und wie das jüdische Leben zu gestalten sei. Diese Ansicht musste nun revidiert werden: Ein offizielles Judentum scheint es an der Zeitenwende noch nicht gegeben zu haben. Die biblischen Handschriften der Qumran-Rollen enthalten nämlich nicht die gleichen Werke, welche heute das Alte Testament ausmachen: Es fehlen das Buch Esther und das Buch Nehemia. Dafür galten offenbar eine ganze Reihe anderer Werke, die heute im Alten Testament fehlen, als den heiligen Schriften zugehörig. Zudem existieren von vielen Büchern mehrere Versionen. So ist zum Beispiel das Buch Jesaja in 21 Fassungen vorhanden, die durchaus nicht alle gleich sind. Nun stellt sich die Frage, welches die gültigen sein sollen.

Noch schwieriger zu beantworten dürfte sein, ob die sogenannten Sekten-Texte damals ebenfalls Teil der «Heiligen Schrift» waren. Sie enthalten Gesetze, Ordensregeln, Glaubensformen, und Praktiken - vor allem Reinheitsvorschriften - einer Ordensgemeinschaft oder Sekte, die von den meisten mit den Essenern, einer historisch dokumentierten jüdischen Religionsgemeinschaft, gleichgesetzt wird. Einige Forscher interpretieren deswegen die Rollen als «Bibliothek» dieser Sekte, die vom «offiziellen Judentum» scharf abzugrenzen sei. Andere hingegen sehen in den Schriften ein dynamisches Spektrum religiöser Überzeugungen widerspiegelt, das von der Vielzahl der Judaismen zeuge, die in späthellenistischer bis römischer Zeit praktiziert wurden. Die Lösung dieses Problems ist für die Anfänge sowohl des Judentums wie des Christentums von Bedeutung und birgt einiges an religionsgeschichtlichem Sprengstoff.

Die Hypothese der Existenz einer sektenartigen Ordensgemeinschaft, die in den Höhlen ihre Schriftstücke in Sicherheit gebracht haben soll, wurde lange Zeit durch die Ausgrabungen in Khirbet Qumran in unmittelbarer Nähe gestützt. Die Ausgrabung der Ruinen dieses Gebäudekomplexes und des zugehörigen Friedhofs waren bald nach der Entdeckung der ersten Schriftrollen in Angriff genommen worden. Pater Roland de Vaux von der Ecole biblique in Jerusalem grub von 1953 bis 1956, ohne aber die Ergebnisse seiner Arbeit je zu veröffentlichen.

Da er zum Vorneherein wusste, was er suchte, fand er es auch: eine Art Essener-Kloster, den Herstellungsort der Schriften, nämlich. Er fand ein «Skriptorium» und interpretierte einige der Zisternen als Reinigungsbecken, denn die Essener-Sekte war gemäss ihren Schriften zur Einhaltung peinlichster Reinheitsrituale verpflichtet. Die Keramik, die de Vaux fand, wies zudem Ähnlichkeiten mit derjenigen auf, die in den Höhlen zum Vorschein gekommen war. So war für ihn klar, dass die Schriftrollen von dieser Sekte stammen mussten. De Vaux' archäologische Interpretation fand Zustimmung, passte sie doch damals vorzüglich zur Meinung der Gelehrten. Sie sollte während vierzig Jahren die Forschung dominieren und den Status eines Dogmas erreichen.

Neue Untersuchungen und Erklärungen
Heute - nach Sichtung der überaus spärlichen Grabungsdokumentation - ist man sich aber weitgehend einig, dass de Vaux seine Befunde überinterpretiert hatte. Sein Wunsch, die Stätte nicht nur in Einklang mit den Schriftrollen, sondern auch mit biblischen Daten und Ereignissen zu bringen, war wohl übermächtig gewesen. So interpretierte er die Frauen- und Kinderskelette, die er im Friedhof fand und die im Widerspruch zur These der zölibatär lebenden Essener standen, kurzerhand als jüngere Beduinengräber.

Seit den 1990er Jahren graben nun in Khirbet Qumran die beiden israelischen Archäologen Yitzhak Magen und Yuval Peleg mit modernen Ausgrabungstechniken weiter; ihre Fundstücke - unter anderem Schmuckstücke und Schminkutensilien - widersprechen der Essener-These. Andere Forscher, wie Pater Jean-Baptiste Humbert von der Ecole biblique in Jerusalem, haben die alten Grundrisspläne neu interpretiert und damit die Ansichten von de Vaux ebenfalls relativiert. Und schliesslich versuchen verschiedene Naturwissenschafter in einer neueren Publikation mit Materialanalysen, die Situation zu klären.

Um die umstrittene Funktion der Wasserbecken klarer einzugrenzen, wurden Verputzanalysen vorgenommen. Der Geologe Aryeh Shimron vom Geological Survey in Israel konnte mit petrographischen und geochemischen Untersuchungen feststellen, dass einige der Verputze einen derart hohen Anteil an Schwermetallen aufweisen, dass eine Benutzung dieser Becken zumindest als Trinkwasserreservoirs nicht ohne Gesundheitsschäden geblieben sein dürfte. Eindeutige Resultate lieferte dann die Untersuchung einiger Knochen aus den Gräbern von Qumran auf Spurenelemente, die Rückschlüsse auf die Ernährung erlauben. Der Chemiker Kaare L. Rasmussen von der Universität Odense in Dänemark fand heraus, dass die Spurenelemente erstens reichlich und zweitens in ganz unterschiedlicher Zusammensetzung vorhanden waren. Das widerspricht einer klösterlichen Gemeinschaft, von der man annimmt, dass die Mitglieder alle dieselben einfachen Mahlzeiten einnahmen. Problematisch an dieser Studie ist allerdings die Tatsache, dass die Knochen nicht mehr genug Kohlenstoff enthielten, um sie mit der Kohlenstoff-14-Methode zu datieren. Es kann sich also um Skelette aus unterschiedlichen Zeiten handeln, und es ist nicht auszuschliessen, dass manche aus Beduinengräbern stammen.

Schliesslich versuchte der Archäologe Jonathan Norton von der Oxford University mit der Entwicklung einer neuen Gräbertypologie und der Zusammenstellung aller Fakten Licht in der Qumraner Friedhof zu bringen. De Vaux hatte von den über 1000 Gräbern, die mit Luftaufnahmen und Bodenradar geortet werden konnten, lediglich 49 geöffnet. Bei den Frauengräbern, die er später als jüngere Beduinengräber ausgeschieden hatte, um die Idee eines Mönchsfriedhofs zu stützen, konnte Norton nun nachweisen, dass aufgrund ihrer Ausrichtung einige - sie waren nordsüdlich orientiert - nicht als islamische Bestattungen interpretiert werden können; Muslime richten ihre Gräber ostwestlich aus. Er ist deshalb überzeugt, dass auf dem «Mönchsfriedhof» auch Frauen liegen.

Behälter auch aus Jericho und Hebron
Untersucht wurde auch die Keramik, weil sowohl in den Höhlen wie in Khirbet Qumran ähnliche Tonscherben gefunden worden waren. Mit Hilfe verschiedener Verfahren wie der Neutronenaktivierungsanalyse, der Petrographie und der Thermolumineszenz wurden die gebrannten Tone analysiert. Ein besonderes Augenmerk galt dabei den Schriftrollenbehältern. Jan Gunneweg von der Hebräischen Universität in Jerusalem stellte fest, dass diese Behälter nicht alle in Qumran angefertigt worden waren, sondern manche in Jericho, Hebron und Beer Sheba. Da die länglichen Krüge offenbar eigens zum Zweck der Aufbewahrung von Schriftgut hergestellt worden waren, muss angenommen werden, dass etliche der Rollen aus den erwähnten Orten stammen.

Während die Anhänger de Vaux' aber weiterhin und unbeirrt die These vertreten, dass alle Rollen in Qumran hergestellt und beschriftet worden seien, sehen heute viele Wissenschafter in den Rollen eher die Bestände verschiedener Bibliotheken, hauptsächlich aus Jerusalem, die in Sicherheit gebracht werden mussten, als die Römer im 1. Jahrhundert n. Chr. die Stadt eroberten. Das mindestens würde die über 500 verschiedenen Schreibstile erklären, welche die Anhänger de Vaux' nicht befriedigend zu deuten vermögen. Die Präsenz einer Gruppe von Essenern im nahe gelegenen Khirbet Qumran wird aber auch von modernen Forschern nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Archäologen haben zudem in den letzten Jahren rund um das Tote Meer zahlreiche ähnliche Ansiedlungen - zum Teil mit Becken für rituelle Waschungen - erforschen können. Damit hat der Ort am Nordende des Toten Meeres seine Einzigartigkeit eingebüsst. Einzigartig bleiben aber die Schriftrollen; die Entzifferung und Deutung der Texte wird noch Generationen beschäftigen.

Geneviève Lüscher

Quellen: Philip R. Davies, George J. Brooke, Phillip R. Callaway: Qumran. Die Schriftrollen vom Toten Meer. Theiss, Stuttgart 2002. Jean-Baptiste Humbert, Jan Gunneweg: Khirbet Qumrân et Aïn Feshka II. Etudes d'anthropologie, de physique et de chimie. Novum Testamentum et Orbis Antiquus, Series Archaeologica 3. Academic Press, Freiburg i. Ü. 2003.

Quelle: NZZ, 22.12.2004

2004-12-22, Lorenz E. Baumer

Bücher & Aufsätze

Vient de paraître
Laeetitia Phialon

L’émergence de la civilisation mycénienne en Grèce centrale.
AEGAEUM 32. Annales liégeoises et PASPiennes d’archéologie égéenne
...
Diesen Beitrag lesen

weitere Bücher & Aufsätze
Hier klicken.


Ende dieser Seite