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Geisteswissenschaften - „Verpoppen wäre gar nicht so schlecht“
Beitrag von Lorenz E. Baumer, 2007-01-26:
2007 ist als "Jahr der Geisteswissenschaften" ausgerufen. Das Ansehen der meisten dieser Fächer ist nicht besonders hoch. Der Archäologe Luca Giuliani, ab April Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs, spricht im Interview über notwendige Unterhaltungsqualitäten von Professoren. Und er kennt die Kunst, in zehn Minuten ein schwieriges Theam zu erklären.

Immerhin Doktor: Forscher-Vorbild Indiana Jones Foto: pa/obs
WELT.de: Im April treten Sie Ihr neues Amt als Rektor des Wissenschaftskollegs Berlin an. Als Geisteswissenschaftler im Jahr der Geisteswissenschaften.

Luca Giuliani: „Geisteswissenschaft“ empfinde ich als eine etwas problematische Parole, mit der ich mich ungern identifiziere. Der Begriff wurde im späten 19. Jahrhundert von Dilthey eingeführt als Kampfbegriff gegen die befürchtete Dominanz der „Naturwissenschaft“. Dilthey pochte auf den methodischen Unterschied: Naturwissenschaft sollte objektivierend erklären, Geisteswissenschaft einfühlend verstehen. Der Gegensatz mutet heute obsolet an. Fremde Handlungsweisen zu verstehen heißt doch unweigerlich, sie als rationales Mittel zum Erreichen bestimmter Zwecke zu begreifen und damit zu erklären. Erklären und Verstehen sind, anders als Dilthey meinte, weniger im Sinn einer Fundamentalopposition denn als komplementäre Möglichkeiten zu begreifen.

WELT.de: Andere sprechen lieber von Kulturwissenschaften.

Giuliani: Ob das wirklich glücklicher ist? Aber wichtiger als die Begriffe selbst ist die Absicht, in der man sie verwendet. Geht es um das Abstecken von Hoheitsgebieten? Oder will man eher etablierte Grenzen unterwandern und Trennungen überbrücken? Die zweite Strategie scheint mir interessanter.

WELT.de: Wilhelm Dilthey hat die Geisteswissenschaften als „selbständiges Ganzes“ beschrieben. Was eint die Philologien, die Rechtswissenschaft und die Soziologie?

Giuliani: Ich bin gar nicht sicher, ob man unbedingt etwas braucht, das alle genannten Disziplinen eint. Man könnte sich ja auch, umgekehrt, an der Vielfalt erfreuen und Kontakte suchen, wo man sie braucht. Obsessiv nach dem großen Einen zu suchen, das alles miteinander versöhnen soll: Das möchte ich lieber eingefleischten Hegelianern überlassen.

WELT.de: Mit Peter Wapnewski, Wolf Lepenies und Dieter Grimm sind Ihnen drei prominente Vertreter großer Disziplinen vorangegangen. Sie sind der erste Archäologe in diesem Amt.

Giuliani: Vielleicht ist es ganz nützlich, dass ich aus einem kleinen Fach komme. Wer aus einem kleinen Fach kommt, weiß, dass er zu einer bedrohten Spezies gehört.

WELT.de: Welche Bedrohung meinen Sie?

Giuliani: In Deutschland ergibt sich die Bedrohung ganz aktuell durch die Bachelor- und Master-Studienreform. Es besteht die Gefahr, dass Fächer, die an einer Universität lediglich durch eine oder zwei Professuren vertreten sind, sich im Bachelor-Studiengang nicht mehr als Haupt-, sondern nur noch als Nebenfach werden präsentieren können. Eine Disziplin, die nicht mehr von Anfang an als Hauptfach studiert werden kann, ist nicht mehr in der Lage, den eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden. Das könnte mittelfristig zum Verschwinden ganzer Fächer und zu einer dramatischen Verengung des universitären Spektrums führen. Dabei unterstelle ich den Urhebern der Reform keinerlei böse Absicht: Sie haben immer nur die großen Fächer im Blick gehabt; sofern sie das potenzielle Aussterben kleiner Disziplinen überhaupt zur Kenntnis nehmen, dürften sie es wohl als bloßen Kollateralschaden betrachten.

WELT.de: Die Bundesforschungsministerin hat mehr Mitwirkung der Geisteswissenschaften an der Zukunftsgestaltung gefordert. Die Mehrzahl der Geisteswissenschaften wird aber als vergangenheitsbezogene Bildungsfächer verstanden.

Giuliani: Die Unterscheidung zwischen „vergangenheitsbezogen“ und „zukunftsbezogen“ ist mir wenig plausibel. Ich glaube, dass eine Beschäftigung mit der Vergangenheit, die nicht mit einem lebendigen Interesse an der Gegenwart und – davon kaum zu trennen – mit Hoffnungen für die Zukunft einhergeht, unfruchtbar ist. Umgekehrt ist eine Hinwendung auf die Zukunft, die die eigene Vergangenheit vergisst, ein armseliges und ineffektives Geschäft. Die Frage ist, auf welcher Ebene eine Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit zu suchen ist. Nach der Meinung mancher Kollegen sollte die primäre Aufgabe der Geisteswissenschaften darin bestehen, Orientierung zu liefern. Ich habe da meine Zweifel; vor allem glaube ich nicht, dass Wissenschaft dazu da ist, Werte zu vermitteln und zu begründen. Wohl aber denke ich, dass vergangenheitsbezogene Wissenschaft eine Horizonterweiterung und die Schärfung analytischer Methoden mit sich bringt. Darauf zu verzichten, halte ich für gefährlich. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Vergangenheit dient nicht einer Legitimierung der Gegenwart: Vielmehr geht es darum, in der Vergangenheit das Fremde, das Unvertraute aufzuspüren und die eigene Gegenwart als eine kontingent gewordene zu betrachten, als eine von vielen Möglichkeiten, und nicht als die einzige und selbstverständliche, von den Göttern so gewollte.

WELT.de: Peter Glotz, auf dessen Initiative die Gründung des Wissenschaftskollegs zurückgeht, hat drei Dimensionen einer geisteswissenschaftlichen Krise ausgemacht. Ihre Politisierung, ihren Obskurantismus und, mit einem Wort Karl Jaspers’, „die Bodenlosigkeit des Spezialistischen“.

Giuliani: Eine übermäßige Politisierung kann sicherlich Gefahren mit sich bringen, aber das Risiko einer absoluten Entpolitisierung scheint mir mindestens ebenso groß. Die deutsche Professorenschaft war nach dem Zweiten Weltkrieg und ist heute vielleicht wieder in einem erschreckenden Ausmaß entpolitisiert. Der Rückzug akademischer Intellektueller aus der politischen Diskussion bedeutet nicht nur das Ablegen ideologischer Scheuklappen, sondern auch eine Abgabe von Verantwortung. In die gegenwärtige Studienreform, die von Bildungsbürokraten beschlossen wurde, sind die deutschen Universitäten ohne Diskussion, ohne Widerstand, ohne eigene konstruktive Beiträge hineingerutscht: kein gutes Zeichen. Was die Gefahr eines aufkommenden Obskurantismus betrifft: Das Projekt der Aufklärung für beendet zu erklären, scheint mir unverantwortlich. Aber es gibt auch das entgegengesetzte Extrem: das naive Bestreben, bestimmte Werte der Aufklärung absolut zu setzen und für selbstverständlich zu halten. Das kann leicht zu Katastrophen führen.

WELT.de: In welcher Hinsicht?

Giuliani: Ich erinnere an die – oft gut gemeinten – Programme mancher amerikanischer Neokonservativer, die sich eingebildet hatten, man brauche nur im Irak eine Diktatur zu eliminieren, dann würde ganz selbstverständlich eine Demokratie aus dem Boden sprießen. Das war durchaus von aufklärerischen Intentionen getragen. Die „Bodenlosigkeit des Spezialistischen“ schließlich zielt auf den berüchtigten Fachidioten. Es gibt Spezialisten, die über den Rand des Tellers nicht mehr hinausgucken und deren Teller immer kleiner wird. Auf der anderen Seite muss ich gestehen, dass ich in jüngster Zeit auch das entgegengesetzte Risiko eines Verlusts der Disziplinen sehe. Zum Beispiel sehe ich eine Art von Kulturwissenschaft entstehen, die über alles reden kann, aber keine Verankerung im methodischen Handwerk einer bestimmten Disziplin mehr hat.

WELT.de: Der Held des Bestellerkönigs Dan Brown ist Kunsthistoriker. Werden die Wissenschaften jetzt verpoppt?

Giuliani: Das Verpoppen fände ich ja gar nicht so schlecht. Seltsamerweise geht man oft davon aus, dass berufsmäßige Wissenschaftler dem realen Leben entfremdet sind. In „Indiana Jones“ haben Sie dann aber plötzlich einen Archäologen, der nicht nur das Leben, sondern die aberwitzigsten Abenteuer meistert. Gegen eine gewisse Romantisierung habe ich nichts. Viel spannender als den vermeintlich abenteuerlustigen Archäologen allerdings finde ich die vergangene Kultur, mit der er sich beschäftigt. Nicht, weil diese Kultur rätselhaft wäre oder ein Mysterium, sondern weil sie schlicht anders ist als unsere.

WELT.de: Der „Da Vinci Code“ zielt aber doch auf das Mysterium. Die Disziplinen, die sich der Aufklärung verschrieben haben, liefern heute die Stichworte für spirituelle Moden und seltsame Verschwörungstheorien.

Giuliani: Das spricht doch vor allem dafür, dass unsere Fächer sich lange Zeit nicht ausreichend der sinnvollen Vermittlung des tatsächlichen wissenschaftlichen Geschäfts an ein breites Publikum gewidmet haben. Es gibt in meinem Fach kein einziges aktuelles Forschungsproblem, das einem aufmerksamen Zuhörer nicht in zehn Minuten verständlich zu machen wäre. Gute Wissenschaft kann auch einen hohen Unterhaltungswert haben. Wir sind schlecht beraten, dieses ganze Revier Dan Brown und dessen Kollegen zu überlassen

WELT.de: Welches Buch möchten Sie auf dem Zauberberg des Kollegs schreiben?

Giuliani: „Bild und Mythos“, das Buch, das ich unbedingt schreiben wollte, habe ich 1999 bis 2000 am Kolleg geschrieben, und es hätte an keinem anderen Ort geschrieben werden können. Aber ich glaube nicht, dass der Sinn eines Aufenthalts im Kolleg einzig darin besteht, ein dickes Buch zu verfassen. Als guter Zauberberg ist das Kolleg ein ideales Umfeld für intellektuelle Abenteuer und für Begegnungen, die nicht vorauszusehen, geschweige denn zu planen sind. In diesem Sinn bin ich selber neugierig und gespannt auf das, was die nächsten Jahre mir bringen werden.

Das Gespräch führte Wieland Freund.

Quelle: Die Welt
Artikel erschienen am 26.01.2007
http://www.welt.de/data/2007/01/26/1185909.html

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